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Tim Dabringhausgestorben am 1. August 2021

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Lieber Tim,

verbunden mit Dir sind auf immer die Zeiten Ende der 80er Jahre und hinein in die 90er Jahre in Reinosa/Kantabrien. Anfang der 90er Jahre, nach einem Abend, der irgendwann nach Barbesuchen nachts endete, wurde die Welt schwarz-weiß. Auf dem Weg zu unserem Hostal kamen wir an einer Bäckerei vorbei. Nicht der Verkaufsraum irgendeiner Bäckerei, sondern der Hintereingang zu den Produktionsräumen. Wir traten hinein, eher die Stufen hinab. Ich habe nur noch schemenhafte Bilder, wie wenn man ein Fotoalbum nach langer Zeit anschaut. Einzelne Bilder durch das darüber liegende Pergament. Ich sehe einen Mann in weißer Kleidung, mehlbestaubt, ein eigentlich dunkler Raum, nur schwach beleuchtet. Ein Tisch, Mehl, arbeitende Hände, Teig, Schüsseln. Alte Geräte und Maschinen, ich erinnere keine Geräusche mehr, aber ich denke sie mir alt, metallisch und frühindustriell klackernd. Dazu der Geruch von frisch gebackenem Brot, stillschweigendes Nicken und Arbeiten ohne Worte. Wenn ein Moment die Farbe herausnimmt und eine schwarz-weiße Szene schafft, tauchen wir in die Vergangenheit. Uns vermittelt durch gesehene Bilder und Filme. Keine sterile Elektronik und Technologie. Ein mehlverstaubter Raum, still, langsam, mit ein paar klackernden Geräuschen und im schwachen Mehlnebellicht ein arbeitender, bepuderter Mann. Ein Zeitsprung zurück.

Im Hostal schlafen wir zu Viert in einem Raum. Es ist die Zeit, in der wir Schallplatten zuhause auf Musikkassetten bespielen, manchmal ein Mix-Tape, manchmal ein ganzes Album. Sie lassen sich besser mitnehmen auf Reisen. Ein Kassettenrekorder auch. Der Raum ist nun dunkel. Eine Kassettenseite hat 45 Minuten. Die Musik geht an: "Spirit of Eden" von Talk Talk (1988). Es ist dies nicht die Geschichte eines Songs, es ist die eines Albums. Wie im Jazz und in Klassischer Musik ist es die Variation eines Themas, eine Komposition, nicht schnelllebig sondern unvergänglich, bleibend und über die Zeit tragend. Die Musik legt einen Klangteppich. Er bettet uns, rollt uns ein in den Schlaf, untermalt und erhält die mitgebrachte Stimmung des gerade Erlebten. Ein magischer Moment. Eine Erinnerung, die immer bleibt.

Es ist nur eine von vielen Erinnerungen und Erlebnissen, die wir damals zusammen hatten. Ein streitbares Album: warm, mitnehmend, umarmend, aber auch irritierend und für viele unverständlich, weil anders als der eingängige Pop des "such a shame" und "living in another world" zuvor. Eine Metapher für Dich lieber Tim? Selbst die Texte passen, wenn wir sie lesen und übersetzen mögen. Warm, einnehmend und mitreißend, witzig, aber eben auch ein verrückter Hund bis alle Wecker rappeln. Danke für diese gute Zeit, die wir dort hatten. Alfonso und ich sind dankbar, weil wir durch dich Freunde wurden. Ich hätte vielleicht sonst nie so spanisch gelernt. Auch wenn wir uns über die Zeit verloren, die Erinnerungen bleiben solange wir denken.

Habe ich da gerade etwas durch den sommerlichen Königspalast in Santander flitzen sehen?

Un recuerdo
Michael